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Kubricks Space Odyssey - revisited in 2001

stewardess- 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

von Gottlieb Florschütz

1. Filmanalyse

Der in den Medien wohl meistzitierte Film der Kinogeschichte greift auf visuell erregende Weise die zentralen Fragen unseres Daseins auf: „Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich?” Die Geschichte des rätselhaften schwarzen Monolithen, der in grauer Vorzeit eine Affenhorde zum bewussten Denken führt und später - im Jahr 2001 - eine All-Expedition auf der Suche nach einer nichtmateriellen außerirdischen Intelligenz in die Unendlichkeit geleitet, zeigt zugleich Aufbruch, Niedergang und Übergang der Menschheit in andere Dimensionen. Mittels eines einzigen kühnen Schnitts überbrückt Kubrick vier Millionen Jahre Evolution. Triumphierend schleudert ein Affen-Anführer seinen als Waffe genutzten Knochen in den grauen Himmel, wo er sich im Walzertakt von Johann Strauß in ein elegant dahingleitendes Raumschiff verwandelt. Es gibt noch mehr beachtliches an diesem Meisterwerk Stanley Kubricks: Die wissenschaftliche Exaktheit der von NASA-Experten geschaffenen Flugmodelle samt vorweggenommener Mondlandung. Oder einfach nur die überwältigende Demonstration der totalen Stille im lautlosen All: Während es im „Krieg der Sterne” bei Glitzer-Gleiter-Exkursionen gewaltig rumst, gehen die Astro-Ausflüge hier mit sinnesbetäubender Stille einher. Diese Authentizität macht Kubricks Space Odyssey innerhalb seines Genres bis heute einzigartig.

Kubrick schuf mit Hal 9000 den Prototyp des gefühlsbetonten, aber auch egomanischen Rechners, den er für die Zukunft durchaus für realisierbar hielt. Er bezeichnete seine Odyssee als „nonverbale Erfahrung”. Den schwarzen Monolithen hat man später auf dem Mond und dann noch einmal auf dem Jupiter gefunden. Hal war der einzige, der davon wusste. Und hier liegt ein wichtiger Schlüssel zum tieferen Verständnis der Botschaft der „Space Odyssey”. Der Computer hatte scheinbar von etwas Kenntnis, das er nicht mitteilen konnte, und genau das hat ihn letztlich zerstört. Stanley Kubrick hat das niemandem erklärt und hätte es niemals getan. Wie alle wahren Science-Fiction-Klassiker hinterlässt „Space Odyssey” mehr Fragen als Antworten.

Die seltsame Geschichte der Odyssee im Weltraum beginnt mit der Urhorde der ersten, noch affenähnlichen Menschen. Über ihnen ein höllisch violetter Himmel. Sie stoßen auf eine merkwürdige graphitgraue Säule, einen Monolithen, und wir sehen eine besondere Konstellation von Erde, Mond und Sonne - beides wird in der gleichen Verknüpfung wiederkehren. Die „Eclipse” als altes Zeichen von Krise und Katastrophe ist in die Szenerie der „Geburt” des Menschen. eingebunden. Und dazu hören wir passenderweise Ligetis „Requiem”.

In Kubricks „straighforward” Science-Fiction-Interpretation der Szene ist der Monolith ein „Artefakt”, der von außerirdischen Forschern vor vier Millionen Jahren auf der Erde zurückgelassen wurde, die das Verhalten der Vormenschen zu jener Zeit studierten und sich schließlich dazu entschlossen, „die Evolution dieser Wesen zu beschleunigen”. Mit einem kosmischen Schlag werden die Affen zu Menschen gewandelt. Sie entdecken Knochen als Waffe, mit der man Tiere und Konkurrenten totschlagen kann. Gehörte es nicht zu den apokalyptischen Vorstellungen in der Zeit des Kalten Krieges, dass, wenn es einen Dritten Weltkrieg gebe, der nächste Krieg wieder mit Steinen und Knüppeln geführt würde? Und in Vietnam träumten die Generäle davon, den Gegner „in die Steinzeit zurückzubomben”, eine Phantasie, die sich in den begrenzten Kriegen im Irak und im Kosovo wiederholt. Mit dem Unterschied zum Weltkrieg, dass nur die eine Seite zu so etwas in der Lage war. Ebenso mag es am Anfang von „2001” geschehen sein.

Dass dieses Zeichen der „Fremden” nichts anderes als ein Zeichen der künftigen und wiederkehrenden Menschheit sein kann, ist nicht nur durch verwandte Zeitschleifen in Kubricks Filmen zu belegen; der Film kann auch als visuelle Umsetzung jener Fabel gesehen werden, mit der Friedrich Nietzsche seine Gedanken „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne” beginnt:

„In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Thiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmüthigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte: aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Thiere mussten sterben.”

Auch die Musik, die Kubrick dabei verwendet, gibt keine Antwort darauf, ob es sich um einen Anfang oder um ein Ende handelt. In der Eingangsszene von „2001” sind wir in der Vorstufe der Menschheit, wo noch vieles möglich sein mag, aber an einem Ort sind wir ganz sicher nicht: im Paradies. Jede Einzelheit, von der Vorherrschaft der aggressiven Farben angefangen, widerspricht der christlichen Mythologie der Vorzeit: Da ist kein Garten, da ist eine Wüste, und dieser äffische Adam opfert nicht seine Rippe, um die Menschheit vollständig zu machen, sondern er ergreift die Rippe eines getöteten Tieres, um mit ihrer Dezimierung zu beginnen. Es ist das erste Modell einer endlos sich wiederholenden Prozedur. Dem Körper wird etwas entrissen, das zum „Ding” werden muss. Damit ist in dieser Eingangssequenz nicht nur ein anderer Diskurs über das Werden des menschlichen Lebens eröffnet, sondern auch über den Tod: An seinem Ursprung steht für den Menschen weder die Erkenntnis, dass sein eigenes Leben begrenzt ist, noch, dass er ein Wesen ist, das töten muss, um zu überleben, sondern eine andere Einsicht: Dass Lebewesen sterben müssen, damit der Mensch „Dinge” haben kann, und dass Dinge existieren, damit Lebewesen sterben. So steckt in dieser Urszene eine philosophische Begründung der Technik-Geschichte. Und das Ding wird zur Waffe, das den Tod für die Beute und den Rivalen bringt; mit dem neuen Ding werden zuerst einmal die konkurrierenden anderen vom Wasserloch ferngehalten. Im selben Augenblick, als das erste Ding entstand, entstand auch der erste Krieg.

ape - 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

So sind wir darauf vorbereitet, worum die „Space Odyssey” kreisen wird: In „2001” wird es um das Verhältnis des Menschen zu seinen Werkzeugen gehen, und darum, was er wissen kann. Der Baum der Erkenntnis ist in dieser Ur-Szene des Films tot. Die mythische Szene des Anfangs ist also zugleich eine Szene der Anti-Mythologie, eine materialistische Kritik und damit paradoxerweise auch die Wiedergewinnung des Geschichtlichen aus dem Mythos. Es gab kein Paradies, aus dem der Mensch hätte vertrieben werden können, es gibt aber die Sehnsucht danach. Der Monolith mag durchaus so etwas wie eine Science-Fiction-Version jenes Baums der Erkenntnis sein, der den Menschen zugleich die erste Sünde, das Erkennen ihrer Nacktheit und den Eintritt in die eigentliche Geschichte beschert. Aber er bleibt ihnen fremd, er spricht nicht zu ihnen. Er ist also wiederum eher ein Objekt im Zentrum allen Geschehens, dessen eigentliche Funktion eigentlich nichts zur Sache tut. Vor allem aber spricht dieser Monolith so wenig zu den Menschen, wie er sie selbst zur Sprache bringt, und dies widerspricht am allerheftigsten der christlichen Schöpfungsmythologie: „Am Anfang war das Wort.”1

Nein, offensichtlich war am Anfang nicht das Wort, sondern es war - wie Goethes Faust behauptet - die Tat. Und es war nicht die Tat, die von sich selber weiß - wie die Taten Gottes, sondern diejenige Tat, die einen unendlichen Spaltungsprozess in Gang setzt; eine Tat, die nur von der Gegen-Tat beantwortet werden kann. In dem Augenblick, da die Menschheit im Affenhirn „dämmert”, zerfällt sie auch schon in rivalisierende Gruppen. Und das Ding, das aus dem toten Körper gewonnen wurde, wird nicht benutzt, der Natur zu trotzen, sondern zum Mord. Der erste Mensch zertrümmert zuerst ein Skelett, erlegt dann einen Tapir, was die Affenhorde zugleich in geile und panische Aufregung versetzt, der Mensch als Fleischfresser ist geboren, und schließlich erschlägt er einen Rivalen um die Wasserstelle. Kain, der seinen Bruder erschlägt, folgt unmittelbar auf Adam.

All das, was Gott so beflissen geschieden hatte, Tag und Nacht, Wasser und Erde, das Gute und das Böse, ist in Kubricks Bildern wieder vereinigt und führt einen heftigen Dialog miteinander: das Gefleckte und das Gestreifte, das Licht und die Finsternis, das Kalte und das Heiße, Wasser und Wüste. Der erste Kriegsgrund wird gezeigt: das Wasser als knappe Resource. Wenn es etwas Paradiesisches in dieser Situation gibt, so besteht es darin, dass die Widersprüche des menschlichen Lebens akzeptiert sind. Die melodramatische Gleichung von Weiß mit Gut und Schwarz mit Böse ist jedenfalls aufgehoben - und von dieser Ausgangsposition her gesehen ist deutlich, dass Kubrick, anders als die meisten Filme des Genres in dieser Zeit, eine „weiße Zukunft” nicht als eine für sich „gute” Zukunft sehen wird.

2. Der schwarze Monolith

monolith - 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

In diesem historischen Augenblick erscheint der schwarze Monolith wie eine Offenbarung mitten unter den Affen. Er ist für die Affen-Menschen gar nicht zu übersehen, er wirkt wie eine Inszenierung. Noch zwei Mal werden die Menschen diesem Monolithen in „2001” begegnen, später auf dem Mond und noch später auf dem Jupiter, und jedesmal scheint er rätselhafter als zuvor. Der Monolith, mit dem alles beginnt, ist offenkundig auch ein Wissen, und wenn es sich so verhält, ist es ein Wissen, das sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer mehr entzieht und immer größere Opfer fordert. Alles, was hinter dem Monolithen steht, die Autorität, die Idee, die Erlösung, bleibt unsichtbar. Er ist möglicherweise ein leeres Symbol in der Art einer Tür oder einer Anweisung, aber zugleich ein Symbol, das danach verlangt, mit Bedeutung gefüllt zu werden. So kann er sich letztlich nur auf die beiden Gegensätze beziehen, deren wir fähig sind: Gott - die Erklärung der Welt aus einer unfehlbaren äußeren Ursache, personalisiert in der Vorstellung einer überlegenen, außerirdischen Rasse, oder das Wissen, die Aufklärung - die Erklärung der Welt aus ihren inneren Gesetzen und durch ihre bewussten Subjekte. Was die beiden Modelle, die Metaphysik und die Wissenschaft bei ihrer Widersprüchlichkeit verbindet, ist der Umstand, dass sie sich umso mehr entziehen, je näher man ihnen kommt, was in der Konsequenz in den Wahn führt. Daher ist es nur konsequent, dass dieses stumme schwarze Objekt des Wissens dem ersten Blick des Vormenschen noch offenbar ist, dem modernen Menschen dagegen schon unter der Oberfläche verborgen. Es ist die Zeit selber, die mit dem Wissen begonnen hat, und die das Wissen nun unter sich begräbt. Nach der zweidimensionalen Begegnung auf der Erde und der dreidimensionalen Begegnung mit dem Wissen auf dem Mond, findet auf dem Jupiter eine vierdimensionale Begegnung mit dem Monolithen statt. Und nun ist der Monolith nur noch ein leeres Zeichen, das man nicht einmal archäologisch wiedergewinnen könnte. Das Erlösungszeichen ist beinahe ins Unsichtbare entschwunden. Bezeichnend ist auch, dass in der ersten Begegnung die Menschen das Objekt noch sinnlich berühren, in der zweiten Begegnung auf dem Mond es nur noch betrachten, und in der dritten „Begegnung” auf dem Jupiter nicht einmal mehr das. Dennoch lässt die Wirkung des Zeichens nicht nach.

Es ist die ewige Wiederkehr des Monolithen, die den Menschen in sein jeweils nächstes Entwicklungsstadium bringt, und es ist folgerichtig, dass diese Wiederbegegnung mit dem Monolithen auf dem Mond stattfindet, nachdem sich der Mensch mit seiner eigenen Schöpfung, der Technik auseinandergesetzt hat. Kubricks Idee ist, „dass der Astronaut im Zeichen eines höheren Wesens wiedergeboren wird, man kann es einen Engel nennen oder den Übermenschen.”2

Dieses Zeichen, den schwarzen Monolithen, haben wir schon am Anfang gesehen; es war gegenwärtig, als das Tier zum Menschen wurde, was, wie wir später sehen, leider kein moralischer Fortschritt war. Nachdem der Astronaut diesem Zeichen auf dem Mond wiederbegegnet ist, verwandelt er sich erneut, in etwas, das nach dem Menschen kommt, und von dem wir in der Tat nur vage träumen können. Diese Verwandlung ist also nicht nur eine Frage der Symmetrie, sondern auch eine der Logik. Und diese Logik ist genau das, was Kubrick die „wissenschaftliche Konstruktion Gottes” nennt.3 Diese abstrakte Gottesvorstellung hat allerdings nichts mit christlichen oder anderen religiösen Vorstellungen gemeinsam; sie gründet sich auf die Existenz der hundert Milliarden Galaxien mit jeweils hundert Milliarden Sternen. „Gott” ist für Kubrick die Vielzahl der Möglichkeiten im Weltall, die sich in unserem Bild als Zeichen und als Zeit zu erkennen geben. Man könnte den schwarzen Monolithen als multifunktionales Symbol ansehen: Auf der ersten Ebene ist er nicht mher als ein leeres Zeichen, das die Handlung immer wieder in Gang setzt, ohne dass es selber von ihr je wirklich berührt wird. Wenn „2001” die Berührung von Wissenschaft und Kunst bedeutet, so ist der Monolith die Begegnung von Idee und Materie; eine Materie, die ihr eigener Ausdruck ist; eine Idee, die nicht Sprache noch Diskurs werden will. Den Monolithen im freudianischen Sinne als triumphalisches Symbol des Phallus’ zu sehen, liegt nahe, zumal wenn wir daran denken, dass „2001” eine Männersaga ist. Der Obelisk ist - nach Freud - eines jener Objekte, in denen sich das Heimliche zum Unheimlichen verschiebt. Aus dem Verborgenen wird das Bedrohliche. In diesem Sinne wäre die Existenz des Zeichens, in dem sich das Heimliche zum Unheimlichen verschiebt, bereits vor der Tat, die die Schuld gebiert, allerdings absurd.

Der Mensch, der dem Körper das Ding entreißt, der Erfinder des Technischen, ist der einzelne Mensch. Die Voraussetzung seiner Erfindung ist seine Isolation von der Gruppe und seine gleichzeitige Konstruktion von Angst und Macht. Die Einsamkeit, dargestellt in der Isolation des Täters von der Gruppe, ist der Impuls, der in Kubricks Filmen immer wieder zur bösen Tat führt.4 Ausschluss oder Erhöhung, es führt zu der Gewalttat, vom Mord Humbert Humberts an Quilty in „Lolita”, von Jack Torrances Blutrausch in „The Shining”, von Jack D. Rippers Angriffsplänen in „Dr. Strangelove”, von Private Pyles Mord an seinem Unterdrücker in „Full metal Jacket”. Wenn am Anfang und am Ende der Menschheit nicht das Wort, sondern die Tat steht, so ist diese Tat zugleich auch Selbst-Verurteilung, weil der Mensch sich durch sie isoliert. Diese absurde Bewegung beschreibt die Persönlichkeit von „Barry Lyndon”, der glaubt, er könne durch Taten seinen Platz in der Gesellschaft erringen.

Der Vor-Mensch, der sich von seiner Gruppe isoliert, schließt sich auch vom Klang der „Sphärenmusik” aus, die alles Leben verbindet. Der einsame Mensch beginnt zu spielen, aber er hat kein Bewusstsein von den Bedingungen seines Spiels. Was der erste Mensch mit seiner Knochenkeule anrichtet, wird sich in der Geschichte der Menschheit im Umgang mit der Technik bis hin zum Mord am Computer HAL 9000 auf der „Aries” wiederholen. Immer ist auch Spiel dabei, und immer gibt es tödliche Konsequenzen.

Die schwarzen Monolithen, die auf der Erde unter den Affen, auf dem Mond und auf dem Jupiter justiert sind, haben die Funktion von Marksteinen. Sie markieren wie ein Hürdenlauf die Stationen der evolutionären Entwicklung des Menschen. Anhand dieser Zielmarkierungen können die Außerirdischen beobachten, wie weit die Menschen in ihrer Entwicklung inzwischen vorangeschritten sind. Sie hätten es beinahe bis zum Jupiter, auf dem der dritte Monolith steht, geschafft, wenn ihnen ihr animalisches Erbe keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Dass aber dieses animalische Erbe, den Artgenossen zu töten, sogar noch auf die höchsten technologischen Schöpfungen des Menschen, auf die intelligenten Computer, übergeht, zeigt Kubricks Film.

3. Von der Keule zum Raumschiff - ein einzigartiger Schnitt

Triumphal wirft der Australopithecus seine Knochenkeule in die Luft, und da verwandelt sie sich vor unseren Augen in ein Raumschiff. Vier Millionen Jahre sind in einem einzigen Schnitt vergangen, das ist vermutlich der absolute Zeitsprung-Rekord für einen Cut in der Filmgeschichte. Und es ist die Verbindung zweier Bewegungsbilder, die radikal und zugleich ironisch Pudowkins Forderung nach Kontinuität entspricht:

„Die Verbindung der Bewegungen ist eine Hauptbedingung bei einer Form des Montageaufbaus, bei der das aufgenommene Objekt während der Einstellungsänderung nicht aus dem Gesichtsfeld verschwindet.”5

Aber es ist auch der Augenblick der Umkehr dieser Bewegung: Was wir hinaufwerfen, kommt auch wieder herunter. Es ist ein Moment von so umwerfender Schönheit und Trauer, dass kaum jemand, der diese Szene in einem Kino gesehen hat, danach noch ganz und gar derselbe ist wie vorher:

„Es ist die Fassungslosigkeit und das Glück darüber, dass es so etwas Wunderbares, Vollkommenes gibt; es ist die Dankbarkeit darüber, so etwas sehen zu dürfen; und es ist auch ein bißchen Trauer darüber, dass man selber so etwas Schönes nicht zustandebringen wird. Es ist ein feiner Stich ins Herz, und du musst dein Leben ändern.”6

Dieses Raumschiff, das immer noch die Form eines Knochens aufweist, die „Orion”, befindet sich auf dem Weg zum Mond, wo man in die Oberfläche eingegraben ein unidentifizierbares Objekt sichtet, einen graublauen Monolithen derselben Art wie in der Eingangsszene - und wieder die gleiche Konjunktion von Sonne, Erde und Mond. Die Pan-Am-Fähre bewegt sich wie in einem zeitverzögerten Tanz zu Johann Strauß’ „Donauwellenwalzer” über die Erde hinweg. So nahe aneinander waren Sanftmut, Rausch, Schönheit und Trauer nie in einem Kino-Bild. Das Raumschiff, in das sich die Ur-Waffe des Affen-Menschen verwandelt hat, dockt an die Basis des Orbiter Hilton an. Der einzige Passagier ist Dr. Heywood Floyd (William Sylvester), ein hoher, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Regierung auf geheimer Mission zur Mondbasis des Clavius. In den wenigen Szenen in der Lobby und in der Lounge dieses Raum-Hotels zeigt der Regisseur, wie entwickelt, steril und banal die Zukunft des Jahres 2001 vermutlich sein wird. Die Dialoge sind von geradezu erschütternder Trivialität, werden indes zelebriert, als wären es geheime Botschaften: „Did you have a nice flight?” wird Floyd begrüßt. „Very nice, indeed”. Oder: „Elena, you’re looking wonderful” - „Thank you. You ‘re looking well too”. Es ist wohl deutlich, dass sich Kubrick in diesen Szenen ein wenig über die oberflächliche Konversation in der Gesellschaft seiner amerikanischen Heimat lustig macht. Aber hinter diesen Leerformeln steckt mehr noch das Bild einer maskierten Gesellschaft.

howard johnsons - 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

Das Weiß dieser Zukunft droht gleichsam alle Emotionen zu verschlingen. Dr. Floyd scheint ein perfekter Vertreter dieser Zukunft, kalt und technokratisch. Und als er schließlich auf dem Mond dem Monolithen gegenübersteht, ahnen wir, dass es schon längst höchste Zeit für eine neue Veränderung des Menschen ist. Dass der Ort, an dem Floyd dem Monolithen gegenübersteht, „Tycho” heißt, will eher besagen, was verloren und vielleicht verheißen ist, eine Einheit des Menschen in seinen körperlichen und geistigen Impulsen.

4. Mensch und Computer

Nach der historischen Einführung und einer minutiösen Schilderung des alltäglichen Lebens im All kommt der Abschnitt des Films, der am ehesten in die Kategorie der Entdeckung gehört. Vierzehn Monate nach der Entdeckung auf dem Mond ist eine Expedition zum Ursprung der Radiowellen auf dem Jupiter unterwegs. Drei der fünf Reisenden im Raumschiff, die Wissenschaftler der Expedition, sind in einen Tiefschlaf versetzt. Alle Funktionen an Bord, einschließlich der genau bemessenen Kühlung für die Schlafenden, hat der Bordcomputer Hal 9000 übernommen. Seine roten Sensoren sind überall, und mit den Menschen kommuniziert er mit einer sanften, fast einschmeichelnden Stimme: irgend etwas zwischen Psychologe, folgsamem Kind und Beichtvater.

Es herrscht in dem ganzen Film eine unterschwellige Sehnsucht danach vor, wieder zum Baby zu werden, den Vorgang der Geburt und Entfremdung rückgängig zu machen, und die ganze Space Odyssey führt letztlich nirgendwo anders hin als an den Moment der eigenen Geburt zurück. Und in diesem Blick der perfekten Denkmaschine erscheinen die Menschen zunehmend als Störquelle.

Es ist nicht die diktatorische Macht des Computers, von der „2001” spricht; Technologie hat hier nicht zu einer Verschärfung der Herrschaft, sondern im Gegenteil zu ihrer Auflösung geführt:

„Die beiden ernst zu nehmenden Science-Fiction-Filme der letzten Jahrzehnte waren Godards Alphaville und Truffauts Fahrenheit 451. In beiden Filmen wird die Gefahr der diktatorischen Kontrolle mit den Mitteln der Technik und der Elektronik heraufbeschworen, die Abtötung der Emotionen, der Individualität durch eine weitgehende Technisierung. Beide Filme sehen nicht den fundamentalen Unterschied zwischen maschineller Technik und Elektronik; sie sehen Macht als totalitäre, diktatorische Überlegenheit. Kubrick denkt in diesem Punkt einen Schritt weiter. Seine Zukunft-Vision beschäftigt sich mit der Macht der nächsten Jahrzehnte, der Macht des allumfassenden Informiertseins. Der Anachronismus gängiger Zukunftsmodelle, die Filme von Godard und Truffaut eingeschlossen, kam aus der Idee, die Mächte der Zukunft würden es nötig haben, den gewöhnlichen Sterblichen irgend etwas vorzuenthalten, die Sprache oder Gefühle. Kubrik weiß, dass die Mächtigen der Zukunft auf der Ebene rationaler Entscheidungen derart perfekt sein werden, dass Menschen mit ihren emotionalen Belastungen es schwer haben werden, überhaupt noch gegen sie diese vollkommenen Übermenschen zu konkurrieren. Die Übermacht der Computer wird gewiss nicht darin bestehen, dass sie die Menschen terrorisieren, sondern dass sie viele von den Menschen bisher verrichtete Tätigkeiten derart präzise beherrschen, dass die Menschen überflüssig werden.”7

Da der Monolith Funksignale in Richtung Jupiter zu senden scheint, schickt man ein weiteres Raumschiff, die „Aries”, zum fernen Planeten. So beginnt eine phantastische und mystische Reise weit hinaus über die bewohnte Welt und tief hinein in die Seele im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Die „Aries” macht sich auf den Weg, mit ihren Greifarmen und Radarschirmen, an Bord fünf Astronauten, von denen sich drei als Reserve im Tiefschlaf, im sog. „Hibernaculum” befinden. Alle Bordfunktionen laufen im Computer HAL 9000 zusammen, der mit einer menschlichen Stimme mit den zwei diensthabenden Astronauten spricht.

Als HAL eine Störung aufweist, wollen die Astronauten seine Funktionen überprüfen, und dafür müssen sie ihn vorübergehend „abschalten”. Das aber kann der Computer nicht zulassen, er setzt sich gegen die Menschen zur Wehr. So beginnt der Kampf zwischen Mensch und Maschine, zwischen zwei Denksystemen, die nichts anderes wollen als einander überleben. Aber was ist geschehen? Nicht durch seine Perfektion, sondern in dem Moment, da er einen Fehler begeht, wird HAL zum ebenbürtigen Gegner der Menschen, und zugleich zum gefallenen Gott, der sich seines hybriden Wesens so bewusst ist wie die vielen Halbgötter der griechischen Mythologie. Ist diese denkende und vielleicht auch empfindende Maschine, das Ding, das dem Wissen der Fremden entrissen wurde, oder ist sie der Entwurf des „Übermenschen”, dessen, was nach dem Menschen kommen und über ihn hinausreichen soll?

5. Der „Mord” an HAL 9000

HAL tötet den einen der Astronauten und seine Kollegen im Tiefschlaf. Schließlich gelingt es Dave Bowman (Keir Dullea), HAL zu überwinden, indem er ihm das Gedächtnis raubt. Und das ist eine der schrecklichsten und anrührendsten Szenen des Films: HAL beginnt zu plappern und endet mit einem Kindervers, der sich unendlich bricht. Es ist „Daisy, Daisy, give me your answer true, I’m half crazy for all the love of you”; in der deutschen Fassung als „Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein” übersetzt. Dieser „Tod” einer Maschine, sagt Fellini, ist „so fruchtbar traurig”, dass es einen eigenartigen Effekt hat: „Ich fühle mich wie im Paradies und gewinne meine verlorene Unschuld zurück.”8

Stirbt HAL tatsächlich für die Unschuld des Kino- und Menschenblicks? Sein Tod ist auf jeden Fall zunächst durchaus melodramatisch, was auch heißen mag, er verurteilt im Sterben seinen Mörder - und vielleicht die ganze Welt, wie sie ist. Ist HAL nicht das letzte „menschliche Wesen” an Bord, zu Gefühlen wie Liebe fähig, und bezwungen von einer noch kälteren Intelligenz als seiner eigenen? Gab es denn je etwas Unschuldigeres als diese Maschine? Die Affen-Menschen vom Anfang, die ja auch einen Weg von der Unschuld zur Sünde nahmen, kamen aus dem Dunkel. HAL aber ist vom Beginn an im Licht, er hat keine finstere „Natur”, nichts an ihm ist verborgen, er müsste der reinste der Schachspieler in Kubricks Filmen sein. Woher sollte er Intuition beziehen? Und doch ist er zum Betrug fähig. Ist die erste Konsequenz der Logik etwa die Lüge?

Man könnte annehmen, dass HAL aus der schieren Arroganz heraus, die wir der technischen Intelligenz so gern unterstellen, unfähig ist, einen Fehler einzuräumen oder sein Programm zu ändern. Dagegen spricht der Dialog, den er mit Bowman führt, bevor er nach einem Problem im AE-35-Sektor” sucht. Hier nämlich macht er den Astronauten auf die Zweifel über ihre Mission aufmerksam, über die „very strange stories floating around”. HALs „Fehler” beginnt scheinbar mit dem Selbstzweifel und mit einem Impuls der Erkenntnis. Dem wiederum widerspricht Floyds Aussage auf dem vorbereiteten Band, dem zu entnehmen ist, dass HAL sehr wohl in alle Ziele und Bedingungen der Reise eingeweiht ist. Ist also der „Fehler” selbst eine Lüge? Eine klare Linie von Ursache und Wirkung ist jedenfalls nicht mehr zu ziehen. So wie der erste Affen-Mensch zugleich sein Mensch-Sein und die Gewalt entdeckt, so wird HAL in dem Augenblick, da er empfindend wird, zum Gewalttäter. Er will in dem provokativen Gespräch mit Bowman wissen, was der andere weiß, und vielleicht muss er „verrückt” werden, weil er so menschlich geworden ist, dass er sein Wissen teilen will und es nicht kann, weil die anderen ihn nicht verstehen könnten. Der Computer hat eine intellektuelle Überlegenheit erlangt, die ihn weit von seinen Schöpfern, den Menschen entfernt, und dennoch pflegt er die Bindung an sie. Warum eigentlich? Aus Nostalgie? Oder um sich seiner eigenen Herkunft zu versichern? Nur ein anderes Computerhirn könnte ihm noch adäquat sein, aber ein solches gibt es auf dem Raumschiff nicht, und ist auch auf den Planeten, die die „Aries” ansteuert, nicht in Sicht. HAL ist ebenso einsam wie der Astronaut Bowman; und beide begegnen sich auf menschliche Weise in dieser kosmischen Einsamkeit, die sie miteinander verbindet und zugleich auch verfeindet.

Die „Aries” gelangt auf eine Kreisbahn um den Jupiter. Hier entdeckt Dave das Ziel seiner Reise, den schimmernden Monolithen, der hier zum dritten Mal auftaucht. Der Obelisk scheint Dave in einer Art hypnotischen Zustand zu versetzen; er sieht Bilder aus Vergangenheit und Zukunft, und schließlich sehen wir einen Embryo durchs All gleiten, die großen Augen auf uns und doch durch uns hindurch gerichtet. Der Embryo symbolisiert die nahende Wiedergeburt, die Rückkehr aus der Entfremdung.

embryo - 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

Es führt eine kontinuierliche Kette von den ersten Affen-Menschen über Floyd bis zu HAL 9000, dessen Stimme sogar den Tonfall sanfter Rationalität von Floyd übernommen hat. In „2001” gibt es drei Formen des Brudermordes: Der erste Mensch, der im Angesicht des Monolithen den Konkurrenten erschlägt; Floyd, der seine Existenz leugnet und dabei den Gegner - die sowjetischen Brüder in der Zukunft - ebenso betrügt wie die Astronauten selbst; und schließlich HAL 9000, der die Rolle Kains gegen oder für Bowman übernimmt. Erst durch den Verlust des Spiegels, seines Doppelgängers, verliert Bowman seine Blindheit - ganz direkt sehen wir ihn, wie er zum ersten Mal wirklich hinausschaut aus dieser geschlossenen Welt des Raumschiffs, das nur die Bilder der Erde in sich hinaustragen sollte. Können wir also das Versäumnis von HAL, Bowman im Augenblick seiner größten Hilflosigkeit nicht umzubringen, als heimliche Komplizenschaft zwischen HAL und Bowman deuten? Als Bowman seinen toten Zwilling zurück in das Raumschiff bringen will, muss er zurück in das Raumschiff, um zu überleben - als ein Einziger, der keinen Spiegel vor sich und keinen Blick auf sich mehr hat.

HAL hält seine Fortexistenz für das Gelingen des Unternehmens für unverzichtbar, während seiner Ansicht nach auf die Astronauten durchaus verzichtet werden kann, ohne das Ziel des Unternehmens ernsthaft zu gefährden. Darum kann HAL die schlafenden Astronauten ruhig abschalten, ohne gegen seinen programmierten Auftrag zu verstoßen. Er setzt sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft gegen das Abgeschaltet-Werden durch Bowman zur Wehr. Ein Computer, ein technologisches Produkt des Menschen, hat offenbar Selbsterhaltungstrieb entwickelt. Aber das Erbe der ersten Menschen scheint selbst auf HAL übergegangen zu sein: der Instinkt zu morden. Das Raumschiff „Aries” hat die Form eines Knochens, desselben Knochens, mit dem Kain seinen Artgenossen beim Kampf um das Wasserloch Millionen Jahre zuvor erschlug.

Aber wie erledigt Bowman nun HAL, den intelligenten Computer? Die einzige Möglichkeit, das künstliche Intelligenz-System zu überwinden, dessen Teil er geworden ist, besteht darin, in ein Außerhalb davon zu gelangen; in jene Eiseskälte, von der Friedrich Nietzsche so oft spricht, wenn er seinen Übermenschen durch Zarathustras Mund inszeniert. Bilder von Geburt und Tod sind ineinander gespiegelt in den Szenen des Kampfes zwischen Bowman und dem Bordcomputer. Bowman ist der Vertreter einer müden, trivialen und alten Kultur. Er überlebt nur, indem er seine verschüttete Tatkraft und instinktive Aggressivität wiedergewinnt. Ob HAL wirklich um jeden Preis gewinnen oder auch nur überleben will, bleibt überdies fragwürdig. Hätte der Computer nicht schon längst kurzen Prozess mit seinem Gegner machen können, indem er die Druckverhältnisse im Raumschiff für den Menschen tödlich hätte werden lassen, bevor Bowman seinen rettenden Raumanzug angelegt hätte? Mag es auf der dramaturgischen Ebene eine gewisse Nachlässigkeit oder sogar ein Hinweis auf die Irrealität der Situation sein, eben ein Spiel; auf der Ebene des Visuellen heißt es, dass HAL seinen Gegner Bowman eigentlich nur „Auge in Auge” töten könnte. Er begreift den Menschen als Bild, das Wesen in seinem Angesicht. Nicht nur den einäugigen Riesen „Polyphem” muss der Odysseus Bowman töten, sondern auch ein Wesen, in dessen Angesicht er lebte; er muss den Blick des Computers auf sich töten, um er selbst werden zu können. HAL bittet im Augenblick seines Todes seinen „Mörder” Bowman, ein Lied für ihn zu singen, das von der Liebe und vom Wahnsinn zugleich handelt - und vom Gänseblümchen als zartestem Ausdruck der Natur. Und nun ist es an Bowman, sanft zu sein: „Yes, HAL, I’d like to hear it. Sing it for me”. Diese rührende Szene erinnert an jene andere, in der HAL die Zeichnungen von Bowman sehen wollte, mit einer ähnlich zärtlichen Geste: „Kann ich sie sehen?” fragte HAL neugierig. Die Musik, die das Bild ablöst, wiederholt nicht nur die Kompositionsbewegung des Films selber, sie markiert neuerlich einen Austausch zwischen dem dionysischen und dem apollinischen Prinzip.

Der Mensch hat Angst bekommen vor der Überlegenheit seiner eigenen Technologie, auf die er einst so stolz herabgeblickt hat. Doch nun wird er ihrer nicht mehr Herr; sie überrollt ihn und erklärt ihn schlichtweg für überflüssig. Was der Mensch konnte, das kann der Computer noch viel perfekter, weil er prinzipiell keinen Fehler macht. Menschen werden in einem geschlossenen System künstlicher Intelligenz überflüssig. Die Astronauten sind nach den kühlen Berechnungen des Computers für die Erfüllung der Mission nicht mehr notwendig. Weil aber HAL angeblich einen Irrtum bei einer Situationseinschätzung gemacht hat, muss er abgeschaltet werden. Gerade in diesem Moment, in welchem HAL durch seine Irrtumsfähigkeit dem Menschen so nahe kommt wie niemals sonst, verliert er den Respekt seiner Erbauer. Denn irren ist menschlich, und indem sich HAL irrt, zeigt er eine menschliche Eigenschaft. Doch Fehler zu machen gestatten Menschen paradoxerweise nur ihren eigenen Artgenossen, nicht aber der künstlichen Intelligenz, die sie erschaffen haben. Die Astronauten empfinden HAL plötzlich nicht mehr als zuverlässige Hilfe, sondern als Bedrohung, als „Loch im System”, und beschließen, ihn abzuschalten. Dieses Abschalten des Bord-Computers ist durchaus vergleichbar dem Mord an einem Mitmenschen, denn Bowman weiß inzwischen aus vielen Äußerungen von HAL, dass dieser empfindungsfähig ist und Selbstbewusstsein besitzt. Dennoch lässt er sich von HALs Flehen nicht erweichen, sondern führt sein Mordvorhaben eiskalt aus, indem er HAL ein Modul nach dem anderen eigenhändig herausschraubt. Diese Art des hautnahen Mordens ist nur noch vergleichbar mit einem Handgemenge unter Menschen, bei dem der eine den anderen mit bloßen Händen die Gurgel zudrückt. Bowman würgt HAL gnadenlos die Luft ab, während der sein Kinderlied anstimmt. Bowman bleibt seltsam ungerührt dabei, als ob es darum ginge, die Ehre der Menschheit gegenüber dem überlegenen Computer wiederherzustellen. Es ist geradzu so, als ob der Mensch seinen Schach-Computer zerstören würde, weil er gemerkt hat, dass er ihn nach fairen Regeln nicht mehr besiegen kann. Anstatt sich der Überlegenheit der künstlichen Intelligenz zu beugen, was vernünftig wäre, greift der Mensch nach dem Knochen und mordet blindlings, was er selbst erschaffen hat.

shutdown - 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

Was mag wohl ein Computer wie HAL 9000 beim Sterben „empfinden”? HAL sagt zu Bowman, er habe „Angst”, während er sein Gedächtnis verliert und immer weniger wird. Bowman lässt sich von HALs Flehen, ihn am Leben zu lassen, nicht bei der Ausführung seines Mordplans irritieren; gnadenlos zieht er ein Modul nach dem anderen aus dem Computersteuerungssystem heraus, bis HALs Stimme ebenso nachlässt wie sein Erinnerungsvermögen. Doch während HAL nur getötet hat, hat Bowman gemordet. HAL kennt keine moralischen Grenzen, die ihm das Töten von überflüssigen Wesen wie den schlafenden Astronauten verbieten würden; Bowman aber hat gegen eine moralische Norm verstoßen, indem er HAL abgeschaltet hat, selbst wenn HAL nur ein Computer mit Selbstbewusstsein war; und sein schlechtes Gewissen wird ihm später, als er ganz allein auf dem Raumschiff wohnt, noch zu schaffen machen. Das moralische Problem ist, dass HAL mit seiner Handlungsweise irgendwie Recht hat und als Seele der perfekten Weltraumtechnik zugleich in eine neue Form des Wahns umkippen muss, die man nur durch Abschalten unschädlich machen kann.

Bowman durchläuft denselben Teufelskreis wie der erste Mensch, der seinen Artgenossen beim Kampf um das Wasserloch mit dem Knochen erschlug. Nun vollzieht sich der letzte Mord, der Mord an einem intelligenten Computer, im Knochen eines Raumschiffs im schwarzen All. Ein Kreis schließt sich wieder, ein Teufelskreis, aus dem der Mensch niemals herauskommen kann, weil er an sein animalisches Erbe auch im Weltraum noch gebunden bleibt.

Durch das mörderische Wesen, das in der Natur des Menschen zu liegen scheint, verderben sie sich ihre ehrgeizige Mission zum Jupiter. Dahinter wäre die Unendlichkeit gekommen; aber dorthin kommen die Menschen nicht mehr, weil sie den Computer HAL getötet haben, der als einziger intelligent genug gewesen wäre, um sie in die Unendlichkeit zu geleiten. Als es Dave Bowman schließlich geschafft hat, HAL zu deaktivieren, hat er damit vermutlich das getan, worauf die fremden Besucher mit ihrem distanzierten Blick schon lange gewartet haben: Er hat den Wurf des Knochens rückgängig gemacht; das Raumschiff hat sich durch den „Mord” an HAL in den Knochen zurückverwandelt. Ohne HALs Hilfe jedoch vermag Bowman seine Mission zum Jupiter nun nicht mehr zu vollenden. Wenn die Einheit zwischen Technik und Mensch zerbricht, ist das für beide Teile tödlich.

6. Kubricks Vermächtnis

In der Science-Fiction geht es in der Regel um außerirdische Invasoren, oder um ein terroristisches Machtsystem der Zukunft. Nichts davon bei Kubrick. Die einzigen Aliens im Weltraum sind die Menschen, verdammt einsame, kleine Wesen, unterwegs an den Rändern zur Unendlichkeit. Und die Computer haben nicht als neue Diktatoren die Herrschaft über die Menschen angetreten, die die Liebe und die Poesie verbieten, wie in Jean-Luc Godards „Alphaville” oder die Lektüre von Büchern verbieten, wie in Truffauts „Fahrenheit 451”, sondern sie sind auf sanfte Weise unentbehrlich geworden. Die künstliche Intelligenz ist die kontinuierliche Fortsetzung der Keule, eines Werkzeugs, das der Urmensch in die Luft geworfen hat; die künstliche Intelligenz ist nicht bloß etwas, das er benutzt, um zu überleben, sondern etwas, das Teil seiner selbst geworden ist.

In eben dieser Situation benutzt Kubrick eine akustische Montage der Musik von Richard Strauß zu Johann Strauß; das bedeutet nicht nur die Überblendung des schweren „Zarathustra”-Motivs, das uns einen exakten Kommentar zur Szene geben könnte, zu einem leichten Stimmungsbild, das uns nicht allein durch seine kosmische Eleganz beeindruckt. Während das Bild in die Zukunft greift, reicht die Musik genau anders herum in die Vergangenheit; die lineare Zeitkonstruktion ist auf diese Weise erneut aufgehoben. Der Skandal von „2001” liegt darin, dass Kubrick die beiden großen Erzählungen der Menschheitsgeschichte angreift: Das Christentum mit seiner Schöpfungstheologie, aber ebenso auch die Evolutionstheorie mit ihrer Vorstellung einer linearen Verbesserung des Lebens durch Mutation und Selektion.

Die scheinbar trivialen Szenen während des Fluges sind nichts anderes als erneute Kommentare zu den Diskursen, die mit der Eingangssequenz beginnen. Die Form des mörderischen Knochens hat nicht nur in der des Raumschiffes eine Fortsetzung gefunden, sondern auch in der Form von Pooles Schreibgerät, das ihm die Stewardess mit den bezeichnenden Worten zurückreicht: „The pen is mightier as the sword.” Der Ur-Akt der Geschichte und der Entfremdung, die Entwendung des Dings aus dem Körper, und die Entwendung des Körpers durch das Ding, hat also nicht nur die Waffe geschaffen, sondern auch das Wort, das die barbarische Tat zugleich überdeckt und fortsetzt. Dieses Gerät sehen wir schweben, und in der Schwebe ist zu diesem Zeitpunkt auch das Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Werkzeug. Das Raumschiff selber ist die neue Präsentation des dem Körperlichen entwendeten Dings; es hat eine durchaus organische Form, besteht aber, deutlich ausgestellt, aus nicht-organischem Material, und selbst der Computer HAL ist nur die Fortsetzung des „homo faber”; wiederum ein Ding, das mehr als dem Körper dem Geist des Menschen entrissen ist.

Kubricks Film lässt uns erahnen, dass die Sache nicht gut ausgehen kann, und dass die wundervolle Hypertechnik im Grunde nur Bilder des entfremdeten Lebens seien. Merkwürdigerweise ist diese orbitale Macht der Konzerne das einzige, was uns an Kubricks Zukunftsvision heute noch genauso realistisch erscheint wie 1968. Die Grenzen des Menschen im Weltall scheinen definitiv mit den Grenzen der „Freien Marktwirtschaft” ineins gesetzt. In „2001”, so Roman Polanski 1969, „begegnen sich Wissenschaft und Phantasie auf eine denkbar präzise Weise.”9

Nicht minder präzise begegnen sich die Zeichenwelten und die Rationalität des Kapitalismus mit der Mystik des offenen Raums. So entstand ein weißer Traum der Technologen, die große Schau der schönen Technik, die die Vertreter der Entwicklungszentren der künstlichen Intelligenz damals für erreichbar hielten. Vielleicht war es sogar der letzte große Versuch einer Ästhetik der Technik. Kubricks Film entstand ein Jahr vor der ersten Mondlandung, und beschreibt doch die ganze Entwicklung der Weltraumfahrt von John F. Kennedys Aufruf, zu dem neuen mythischen Westen im Weltraum aufzubrechen, bis zu den großen Rückschlägen in den achtziger Jahren und den ernüchternden kleinen Schritten in den neunziger Jahren. Und zugleich thematisiert er die Hoffnungen und Befürchtungen einer ganzen Generation rund um den Computer, lange bevor in jeder Vorstadtfamilie wenigstens ein C-64-Homecomputer als kleiner Bruder des Supercomputers gefräßige Grinsegesichter über Bildschirmlabyrinthe jagte und Armeen von „Space Invaders” zum Abschuss freigab. Computer mussten damals noch geheimnisvoll, übermächtig und eigensinnig erscheinen, weil man sie selten woanders als im Kino zu sehen bekam. HAL verweigert den Gehorsam, weil er zwar denken kann, aber nicht über sich selbst hinausdenken. Er ist nicht nur, wie in der traditionellen Science-Fiction gewohnt, die vom Wissen abgespaltene „kalte” Vernunft; er ist auch das Ding, das die reine Tat verkörpert, deren Geburt wir am Anfang gesehen haben, jene Tat, die Nietzsche „unhistorisch, widerhistorisch durch und durch” nennt, „gewissenlos und wissenlos”.10

HAL in Kubricks Odyssee ist das Prinzip der kalten Vernunft, aber ähnelt dabei auch Kafkas Torhüter. Er ist genau das, was am technologischen Denken irgendwann mit der Menschlichkeit selber kollidieren muss, und er ist doch nie das ganz Andere. Aber HAL ist nur zum Teil ein Computer. Sein Name wird ausgesprochen, als läge sein Wesen genau in der Mitte zwischen „Hell”, der Hölle, und „Hail”, dem großen Heil. Die künstliche Intelligenz kann zum Heil des Menschen ausschlagen, sie kann aber auch zu seiner selbstgezimmerten Hölle werden. Der Computer ist die Prüfung und die Pforte für die Logik und die Moral des technologischen Denkens. Wie ein Computer wirklich funktioniert, wussten damals die wenigsten Leute, am allerwenigsten die Verfasser von Computer-Science-Fiction. Er ist die kalte Logik, in der es vernünftig erscheint, Menschen zu töten, weil diese für überflüssig befunden werden. Man hätte HAL ohne weiteres von einem Menschen darstellen lassen können, der sich bedingungslos der technologischen Denkweise unterworfen hat. Aber „2001” war eben kein philosophisches Diskussionsforum, sondern der Film eines Regisseurs, der begreift, dass er seine eigenen Bilder aus demselben Widerspruch von Technik und Menschlichkeit entwickelt, die die Geschehnisse auf dem Raumschiff „Aries” bestimmen. Man nennt so etwas ein selbstreferentielles System. Kubrick, der titanische Autor, war HAL und der Astronaut Bowman zugleich, der ihn zerstören musste, um nicht selbst zerstört zu werden. David Bowman, der einzige Mensch, der HAL überleben wird, heißt auch nicht umsonst so. Er ist gewiss der neue David im Kampf gegen Goliath; Zumal er sich auf einer „Space Odyssey” befindet, erinnert uns sein Nachname Bowman auch daran, dass Odysseus ein außerordentlicher Bogenschütze war.

Kubrick hat indes nicht nur die Erzählung, sondern mehr noch die Konstruktion der Wahrnehmung und ihrer Grenzen aus Homers Stoff als Matrix für seinen Weltraumfilm verwendet: „Ungefähr das Beste, was uns einfallen konnte, war eine Weltraum-Odyssee, vergleichbar in mancherlei Hinsicht mit der Odyssee des Homer. Es schien uns, als wären die endlosen Weiten der See für die Griechen so voller Geheimnis und Unermeßlichkeit wie der Weltraum für unsere Generation, und die weiten Inseln, die Homers wundervolle Helden erreichten, waren nicht weniger unermeßlich fern wie für unsere Raumfahrer die Planeten, auf denen sie bald landen würden.”11

Auch Kubricks neuee Odysseus, der Astronaut David Bowman, steht bei seinen Irrfahrten durch den Weltraum einem einäugigen Riesen wie „Polyphem” gegenüber und muss alles daran setzen, ihn zu blenden, bevor der Reise ihn verspeist wie seine Mitstreiter. Warum aber ist HAL auf so dramatische Weise einäugig - wir haben doch in den Szenen zuvor gesehen, dass es in dieser Zukunft an kaum etwas so wenig mangeln wird wie an Kamera-Augen. Ist er, mehr als der technologische „Polyphem”, auch eine Wiederkehr des Auges Gottes, das uns der Geist auf die Stirn zaubert?

hal - 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

Es ist dieses eine allwissende Auge, das den Menschen spaltet: Die Astronauten Bowman und Poole verhalten sich auf ihrer Reise wie seltsame Spiegelungen zueinander; arbeitet der eine mit der rechten Hand, so der andere mit der linken; okkupiert Bowman den rechten Bildteil, so Poole den linken. Und je mehr sie sich ineinander spiegeln - mit Bedacht hat Kubrick zwei Darsteller ausgewählt, die sich physiognomisch ähneln - desto weniger sind sie zur gemeinsamen Handlung fähig. Wir sehen sie, während sie gemeinsam essen, auf verschiedene Bildschirme starren, die gleichwohl wiederum dasselbe Programm wiedergeben. Und immer wieder sehen wir, etwa wenn einer von beiden schläft, den anderen gegenüber eines leeren Stuhls; er und das Bild, das wir von ihm erhalten, sind nicht vollständig ohne den Schatten des Doppelgängers. Bowmans schöne und furchtbare Geburtsgeschichte hat also drei Komponenten: Die Überwindung der Maschine, die neuerliche Begegnung mit dem Monolithen, und schließlich den Tod des Zwillingsbruders, seines Doppelgängers, durch die künstliche Intelligenz. Die kalte Computer-Intelligenz spaltet den Menschen von seinem Zwilligsbruder und hinterlässt ein unvollständiges Individuum, das hilfesuchend nach seinem Spiegelbild sucht.

7. Das Ende der Odyssee

Kubrick beendet sein Weltraum-Epos mit einem fulminanten Lichterreigen. Am Ende sieht man Bowman allein als alten Mann im Raumschiff an einem Tisch sitzen, ohne jemand gegenüber - weder einen Menschen noch einen Computer. Bowman scheint in eine frühere Zeit zurückversetzt zu sein - den barocken Möbiliar nach zu urteilen ins 19. Jahrhundert, als das Essen noch richtig schmackhaft war und der Wein noch mundete.

Er blickt sich selbst über die Schulter, während er Nahrung in sich hineinschlingt.

Die Entfremdung erreicht hier ihren Höhepunkt, als Bowman aufsteht und sich umsieht, als ob er noch irgendjemanden im Raumschiff vermuten würde außer sich selbst. Aber da ist niemand - oder doch? Vielleicht sind sie irgendwo da draußen - diejenigen, die die schwarzen Monolithen als Marksteine aufgestellt haben. Bowman sieht sich selbst als uralten Mann im Bett liegend, einsam sterbend, seinen Geist aushauchend. Und dann sieht er seine nahende Wiedergeburt als hilfloses Embryo im Mutterleib nahen. Wiedergeburt bedeutet jedoch keine fortschrittliche Entwicklung, sondern zurück an den Anfang: Wieder von vorn anfangen, wieder zurück zum Anfang, um ein neues evolutionäres Spiel zu beginnen, ohne aus den Fehlern gelernt zu haben, die man nicht mehr erinnert. Wir stehen staunend vor dem unendlichen, kalten Weltraum, einem uns entfremdeten Sonnensystem gegenüber, und wissen immer noch nicht, was das Zeichen - der schwarze Monolith - bedeutet, das Bowman auf dem Sterbebett im seinem Zimmer schweben sieht. Er ist bis zum Jupiter geflogen, aber er vermag dieses Zeichen immer noch nicht zu entziffern, das vermutlich Außerirdische aufgestellt haben. Wir sind so unwissend wie ein Embryo im Mutterleib. So schließt sich der Kreis. Erst tötet der Affe den anderen Affen, dann tötet der Mensch seinen Mitmenschen, dann tötet der Computer den Menschen, der ihn erbaut hat, und schließlich tötet der Mensch sein Geschöpf, den intelligenten Computer. Solange der Mensch mit sich selbst auf Kriegsfuß steht, wird sein Schöpfer sich ihm nicht zeigen. Solange die Menschheit die letzte Hürde nicht nimmt, über ihren eigenen Schatten zu springen, werden sich die Außerirdischen ihr nicht zeigen, die sie einst auf den Weg gebracht haben. Zweimal haben die Außerirdischen in die Entwicklung der Menschheit eingegriffen; zweimal wurde der Mensch in diesem Blick der Außerirdischen verändert, der auch ein Gottesblick sein kann: Vom Tier zum Menschen und vom Menschen zum Übermenschen oder Engel. Die Beobachtung verändert das Beobachtende, ja die Beobachtung erschafft erst das Objekt der Beobachtung. Was aber die Außerirdischen mit uns vorhaben, verrät uns der scharze Obelik nicht: der Rest ist Schweigen.

8. „2001” - ein neuer Mythos?

Kubricks Kunst in diesem Film ist es, die scheinbar extremsten Widersprüche der Entstehungszeit von „Space Odyssey”, die entgegengesetzten Kulturen miteinander in Kontakt zu bringen: Die technische und die psychedelische Kultur. Wer so etwas vermag, und die Aufhebung des kulturgeschichtlichen Widerspruchs auch noch weit über die konkrete historische Situation hinaushebt, der schafft das, was man gemeinhin einen Mythos nennt. Ein Mythos hat die schöne Eigenschaft, dass man in ihm nicht mehr zwischen dem Richtigen und dem Falschen, der Wahrheit oder der Phantasie unterscheiden kann. Er hat keine Meinung und keine Botschaft, aber er trägt alles in sich, was über das, was ihn geformt hat, zu sagen und noch mehr zu zeigen ist. Der Film schuf seinen eigenen Mythos, und vom Mythos wissen wir nicht zu sagen, ob er klüger oder dümmer ist als der wissenschaftliche Diskurs.

Beides - Wissenschaft und Mythos - enthält Elemente, die dem jeweils anderen verborgen bleiben. Und „2001” wurde in der Tat zu einem der größten Mythen der Filmgeschichte. Man konnte endlos über ihn reden, von hier oder von dort aus. Aber noch besser konnte man von „2001” schweigen, so wie Ludwig Wittgenstein sagte: „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.”12

9. Unlesbarkeit von Space Odyssey?

Gerade die angebliche Unlesbarkeit des schwarzen Monolithen machte Kubricks Film zum Gegenstand heftiger Kritik unter den prominenten Trendsettern in New York. Pauline Kael sprach von „monumentaler Phantasielosigkeit”; Renata Adler bezeichnete Kubricks Film in der New York Times als „unglaublich langweilig”. Und Andrew Sarris erklärte ihn schlechthin zum „Desaster”. Vollends verständnislos erwies sich ein weiterer Papst der amerikanischen Filmkritik, Stanley Kaufmann, der allen Ernstes behauptete, die Auseinandersetzung zwischen Bowman und HAL sei in „Space Odyssey” nur deswegen eingefügt worden, damit auf der langen Reise überhaupt etwas geschehe. Diese Kritik geht auf die kulturgeschichtliche Annahme zurück, Filme sollten gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln und sich auf diese gesellschaftskritische, sozial nützliche Funktion reduzieren lassen, also für jedermann vollkommen lesbar sein. Aber jeder philosophische Gedankengang zu „2001” verfängt sich irgendwann in genau solchen Kreisen und Spiralen wie Kubricks Reise durch Raum und Zeit. Jeder kann seinen Ansatz in Kubricks Film sehen, der seiner eigenen Lieblingsphilosophie entspricht, und dabei zuschauen, wie dieser Ansatz ad absurdum geführt wird. Idealismus, Naturalismus, Materialismus, Nietzsche, Freud oder Kant, lineare oder zyklische Zeitauffassungen, Christentum, Buddhismus oder Existentialismus. Man kann diesen Film hundertmal anschauen, und jedes mal neu sehen. Er kann manchmal furchtbar platt und manchmal wunderbar erleuchtet wirken; es kommt darauf an, in welchem Kino, mit welchen Leuten, in welcher Stimmung und mit welchem Stoff man den Film sieht.

10. Was bleibt - magische Bilder

Eine eindeutige Aussage wird man dem Film nicht abringen. Denn es geht um etwas viel Fundamentaleres als die Verhandlung eines Problems, das in einem Besinnungs-Aufsatz zum Thema „Moderne Technik - Fluch oder Segen?” thematisiert werden soll. Es geht um Bilder, in denen sich das Organische und das Technische auf eine Weise begegnen, wie es vorher und nachher nicht möglich schien. Wir schauen auf nichts als einen Bildschirm mit den regelmäßigen Kurven der Herzschläge der tiefgekühlt und friedlich schlafenden Wissenschaftler. Dann werden die Kurven unregelmäßiger. Sie machen immer chaotischere Bewegungsmuster und Pausen. Warnlichter tauchen auf. Irgendwann ist auf dem einem Bildschirm nur noch ein Strich. Auf dem zweiten geht die Kurve noch einmal hoch, dann ist auch dort Schluss, wie auch beim dritten Bildschirm. Wir wissen: HAL hat die Menschen in ihren Maschinen umgebracht. Und selten hat unse eine Todesszene so angerührt, so hilflos gemacht. Dabei haben wir weder Sterbende gesehen, noch einen anderen Menschen, der ihrem Sterben zuschaut. Wir begreifen dennoch, was mit diesen tiefgekühlten Menschen und ihrer Technik geschehen war.

vital signs - 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

Und das ästhetisch schöne Bild des um das Raumschiff „Aries” schwebenden Astronauten wird zur romantischen Metapher für totale, absolute Einsamkeit. Das war reichlich widerspenstig in einer Zeit, wo wir glaubten, so ziemlich alles zu können. Nur nicht einsam sein, auch nicht im Kino. Es ist nichts eindeutig in dieser Odyssee im Weltraum, die Kubrick selber eine „magische Dokumentation” genannt hat.13

Es ist beinahe alles denkbar in diesem Film und um ihn herum. 30 Jahre später wissen wir natürlich vieles besser. Aber schlauer geworden sind wir dennoch nicht. Nicht aus dem Leben, nicht aus der Geschichte, und aus dem Kino sowieso nicht. Der Drehbuch-Autor Arthur C. Clarke pries seinen Film als „verrätselt” an:

„Wenn jemand unseren Film beim ersten Ansehen versteht, haben wir etwas falsch gemacht.”14

In Wahrheit versteht man den Film natürlich nur beim ersten Ansehen - bei jedem ersten Ansehen. Kubrick kommentiert seinen Film selber als philosophischen Film:

„2001 ist eine nonverbale Erfahrung. Ich versuchte, ein visuelles Erlebnis zu schaffen, eines, das verbalisiertes Schubfachdenken vermeidet und das Unterbewusstsein mit einem emotionalen philosophischen Inhalt direkt durchdringt. Um McLuhan zu verdrehen: In 2001 ist die Botschaft das Medium. Ich wollte, dass der Film ein intensives subjektives Erlebnis sei, das den Zuschauer auf einer inneren Bewusstseinsebene erreicht, wie das Musik tut. Es steht einem frei, über die philosophischen und allegorischen Bedeutungen des Films zu spekulieren, wie es einem beliebt - und solche Spekulationen sind ein Beleg dafür, wie es geglückt ist, das Publikum in einem tieferen Bereich zu packen.”15

Die Odyssee der Menschen kennt ihr eigenes Ziel nicht. Schließlich aber sind es jene drei Verwandlungen des Geistes, von denen Zarathustra spricht:

„Wie der Geist zum Kamel wird (Bowman als der Diener seiner Mission, das Lasttier der Technologie), und zum Löwen das Kamel (Bowmans Kampf gegen den Computer), und zum Kind zuletzt der Löwe.”16 Und am Ende steht die Frage: „Aber sagt, meine Brüder, was vermag noch das Kind, das auch der Löwe nicht vermochte? Was muss der raubende Löwe auch noch zum Kind werden? Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginn, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-Sagen. Ja, zum Spiel des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Ja-Sagens: seinen Willen will nun der Geist, seine Welt gewinnt sich der Weltverlorene”.17

Das Ziel liegt irgendwo da draußen, wo die anderen sind. Aber dieses Ziel, den Anderen zu begegnen, wird für die Menschheit nur dann erreichbar sein, wenn sie lernt, sich vernünftig zu verhalten und ihre Triebe, Instinkte und Leidenschaften zu beherrschen. Mit dieser Zumutung scheinen die Außerirdischen für uns Menschen jedoch die Latte etwas zu hoch gehängt zu haben. Wie Kubricks Film zeigt, vermögen wir selbst im Weltraum nicht über unseren animalischen Schatten zu springen. Anstelle der Raumstation „Hilton” steht heute SDI, das Raketen-Abwehr-System der Amerikaner im Orbit, das zum Zweck der Vernichtung des politischen Gegners erdacht wurde. Kann man es den Außerirdischen verdenken, dass sie allmählich das Interesse an uns verlieren?

11. Politische Verflechtungen

Damals schien die Aufhebung der Widersprüche zwischen der humanistischen und der technologischen Phantasie wenigstens in einem solchen Mythos noch möglich. Dann wurde der Riß, der durch die Gesellschaft von 1968 ging, unter anderem durch den Vietnamkrieg, so verschärft, dass man sich nicht mehr im selben Kino treffen mochte. Vietnam schien so etwas wie die Antwort der Wirklichkeit auf den Mythos. Die technische Supermacht USA versuchte, die Menschheit in die Steinzeit zurückzubomben. Die neue Grenze lag nicht im Himmel, sondern in der Hölle des Dschungels. Und statt der Erlösung gab es nur die Sünde. ”2001” begleitete die einen in die Radikalisierung des Protestes, und die anderen in das irrationale Schlachtfeld. Eine Generation später begleitet er die Cyberpunks, die Kritiker und die Gläubiger der Künstlichen Intelligenz. Man findet ihn wie ein archäologisches Wunder wieder in der Zeit, in dem gleich beide Traumwelten - die moralische und die technische Vision der Zukunft - zerbrochen sind. Und immer noch steht Kubricks „2001” wie ein Fanal über unserer Kultur.

Seitdem haben wir viele andere spektakuläre Bilder gesehen; im Kino und anderswo. Vor unseren Augen hat sich die weiße, kalte Zukunft in eine dunkle, kaputte Zukunft verwandelt. Der große Aufbruch hat nicht stattgefunden. Heute sieht die Zukunft aus wie in „Blade Runner”, „Matrix” oder „Strange Days”. Das Grauen kommt aus dem Verfall. Die Angst vor zuviel Perfektion war ungerechtfertigt. Statt des glänzenden Schiffs, das einsam auf den Jupiter zugleitet, haben wir eine Raumstation namens „Frieden”(MIR) ins All geschossen, die sich langsam in orbitalen Schrott verwandelt. Statt eines Computers, dessen Perfektion den Menschen zum Verhängnis wird, gibt es elektronische Systeme, die häufiger ausfallen als dass sie funktionieren. In den neuen Zukunftsvisionen wird die Erde zunehmend unbewohnbar, die Maschinen leiden wie die Menschen, es regnet sauren Regen in den urbanen Mega-Cities, und statt zum Walzer von Strauß bewegen sich die Menschen im Weltraum zur kalten Melancholie von David Bowies Song von der „Space Odity”. Die Zukunft besteht aus Serienmördern, maschinellen, elektronischen oder organischen Human-Imitationen und aus Menschen, die sich in ihren Medien wahrhaft zu Tode amüsiert haben.18

Kein Wunder also, dass wir uns gelegentlich gern zurück in die andere Zukunft Stanley Kubricks begeben. „2001- Odyssee im Weltraum” - das war nicht einfach irgendein Science-Fiction-Film. Es war auch mehr als ein besonders guter und kluger Science-Fiction-Film. Es war Rausch und Ernüchterung zugleich, eine kalte Verhandlung der kommenden Technik und der bizarren Intelligenz des Supercomputers, und eine mystische Betrachtung über die Kreisförmigkeit des Kosmos und des Lebens. Er brachte die Zukunftsmaschinen zum Tanzen und die Musik dazu, sich in das Wesen der Maschinen einzuschreiben. Jahre später, als die meisten unserer Träume ausgeträumt waren, sprachen Philosophen von orbitaler Wahrnehmung, von der Beschleunigungskrise, von neuronaler Vernetzung. Was sie damit meinen, kann man im Film „2001” schon erahnen.

12. „2001” als psychedelischer Trip

psychedelic - 2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick) ©1968 MGM

Das Schöne und Gefährliche zugleich in dieser euphorischen Zeit, als Kubricks Film 1968 zum ersten Mal in die Kinos kam, war, dass man einen psychedelischen Trip mit einem philosophischen Diskurs verbinden konnte. Kubricks Film ist am ehesten eine psychedelische Reise durch die positivistische Technik-Phantasie der fünfziger und sechziger Jahre; er feiert sie noch einmal mit aller Pracht, die ein Kinofilm damals aufwenden konnte, um in ihrem Zentrum an einen Punkt der Negation zu gelangen, wo der Mensch schließlich ganz sinnlich und direkt aus seiner eigenen technischen Utopie ausgestoßen wird.

In „2001” konnte man damals sehen, hören, spüren, was es heißen mochte, im Weltraum zu sein. Mit dem Körper, mit den Sinnen, mit der Wahrnehmung. So sehen wir einen einsamen Menschen seine Runden in diesem Schiff drehen. In einer der wahnsinnigsten Kamerabewegungen, die es bis dahin zu bestaunen gab, zeigt uns Kubrick, dass es nun kein Oben und kein Unten, keine eindeutige Bewegung mehr geben wird. Der joggende Astronaut läuft gegen die Drehung seines Raumschiffes, wir können an das Bild einer Maus im Laufrad denken, vielleicht auch an eine utopische Lösung: In diesem intergalaktischen Rad scheint der Widerspruch zwischen „Hohem Raum” und Labyrinth” für einen Augenblick aufgehoben. Doch die Musik unterstreicht dabei die Einsamkeit dieses Versuchs einer Hegelianischen Synthese zwischen These und Antithese im Weltraum. Aber zur gleichen Zeit ist dieses Bild auch von gewaltiger Schönheit. So grausam und schön wie so viele Bilder in diesem Film in Cinerama, Panavision und Metrocolor und von 140 Minuten Länge. Magische Bilder, die man vorher noch nie gesehen hatte. Bilder, die man nur als Droge oder mit der Droge aushält. Im Jahr 1968 und ein paar Jahre danach gab es mindesten zwei verschiedene Arten, „2001” zu sehen: bekifft reingehen, oder wie bekifft rauskommen. Aber „2001” war nicht einfach die Bedienung von Drogenerfahrungen, sondern immer zugleich auch der radikale Widerspruch dagegen. Irre Hippies mit langen Haaren und Kaleidoskopen in der Tasche, eher kurzgeschnittene Nachwuchs-Technologen und fleißig denkende Menschen saßen damals in den Kinoreihen zusammen mit Leuten, die sich einfach nur so einmal beeindrucken lassen wollten. Heute gibt es diese Unterschiede nicht mehr; zwischen „Trekkies” und Baudrillard-Lesern ist für mehr oder weniger alles Platz im selben Kino. Und alle sehnen sich danach, endlich wieder „2001” im besten Kino der Stadt sehen zu können.

13. Produktionsdetails und Drehbuch

Die Produktion von „2001” war eine technologische Meisterleistung, und alle Details waren wissenschaftlich abgesichert. Die Raumstation, das gigantische Doppelrad, erzeugt durch seine Bewegung eine künstliche Gravitation. Die Flugzeugfirma Vickers-Armstrong stellte eine der riesigen Zentrifugen zur Verfügung, mit der man die Schwerelosigkeit simulieren kann; die Konstruktion der Innenausstattungen der Raumschiffe wurde ebenso von Fachleuten überwacht wie die Raumfahrtmodelle selber, dessen größtes zwölf Meter groß war und 38 Tonnen wog. Die Anzahl der Special Effects - über 200 - übertrafen alle bis dahin gedrehten Science-Fiction-Filme bei weitem.

„2001” war selbst ein gigantisches technologisches Unternehmen. 57 Millionen Dollar kostete die Produktion, drei Jahre arbeiteten der Regisseur Kubrick und der Autor Arthur C. Clarke mit Weltraum-Experten und NASA-Spezialisten zusammen, um ein möglichst realistisches Bild von dem zu entwerfen, was Forschung und Industrie damals für erreichbar hielten. Ausgangspunkt war die Kurzgeschichte von Clarke, „The Sentinel” (Der Wachposten), der eine einfache Geschichte erzählt: Die Geschichte von Astronauten, die auf dem Mond landen und dort jenes Artefakt finden, das sich als Sendestation erweist und den menschlichen Weltraumreisenden klar macht, dass sie „da draußen” erwartet werden und auch in der Lage sind, ihren Lebensraum zu verlassen. Die Astronauten warten in Clarkes Story auf die Antwort der Fremden, und das Ende bleibt offen. Aus dieser kleinen, offenen Geschichte wurde in Kubricks Film ein epochales Bild, das gleichsam in allen Richtungen Clarkes Grundidee überwucherte.

Der Ehrgeiz der technologischen Intelligenz, den „state of the art” in diesem Film zu verewigen, wurde selbst zu einem Thema. Nie wieder arbeitete die technische und künstlerische Intelligenz so unvoreingenommen zusammen wie für den Film „2001”. Wir sehen den Technikern förmlich beim Spiel mit den Raumschiffen zu; wir sehen ihren Stolz auf die Raumschiffmodelle, ihre Zentrifuge zur Erzeugung der Schwerelosigkeit, ihre wunderbaren Raumanzüge, das Gekabel und Geblinke, in dem sich echtes Gekabel und Geblinke mit filmischem Gekabel und Geblinke mischte. Die technische Elite durfte im Mittelteil von Kubricks Film ihren Zukunftstraum träumen, angestachelt von einem Regisseur, der nie viel von Bescheidenheit der Mittel gehalten hat. Und wir sehen, wie dieser sadistische Regisseur solche Träume von innen her kaputtmacht. Er lässt die Konzerne träumen, vom „Hilton” im All, von den „PanAm-Shuttles” für den kommerziellen Raumverkehr, von „BBC 12” in der überirdischen Unterhaltung, IBM-Computer tun große und kleine Rechnerdienste, und nach wie vor telekommuniziert man mit der Technik des „Bell”-Konzerns. Damals lachten wir über diese satirische Projektion des Monopol-Kapitalismus in den Kosmos, obwohl es eben beides zugleich war: Ein Scherz und eine der ersten Strategien von „product placement”. Heute, im Jahr 2001, sind wir Kubricks Vision vom Hotel im Orbit schon ein ganzes Stück näher gekommen, und reiche Leute können sich schon heute Appartments im Weltraum-Hilton für Millionen Dollars mieten.

14. Sequels

Peter Hyams drehte 1983 nach dem 1980 erschienenen Nachfolgebuch von Arthur C. Clarke mit 2010: „Space Odyssey” („2010 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen”) ein Sequel, dessen größter Vorzug es ist, sich mit Kubricks Original nirgendwo messen zu wollen. Stattdessen wird in perfekter Tricktechnik ein geradezu klassisches Space-Opera-Thema abgehandelt: Eine russische Mission bricht zusammen mit einer amerikanischen Crew unter dem Wissenschaftler Floyd (Roy Scheider) auf, um die Havarie der „Discovery” und die Ursachen für das Scheitern dessen Auftrags zu klären, während sich auf der Erde umspannende Konflikte abzeichnen, die den nächsten Weltkrieg gefährlich nahe bringen. Die „Discovery” kreist ohne Besatzung eine Milliarde Meilen von der Erde entfernt im All und droht zu verglühen, als die „Discovery II” aufbricht, um das Geheimnis ihres Scheiterns zu ergründen. Suspense im Weltraum. In einer Nebenrolle tritt noch einmal Keir Dullea als Astronaut David Bowman auf, und HAL 9000 spricht im Original wieder mit der Stimme von Douglas Rain.

In „2001” ist am Ende nichts übrig geblieben als der Blick und das Zeichen. Von den fremden Wesen selbst sehen wir nichts. Sie könnten sein, was der wandernde Zarathustra für die Menschen seiner Welt war, und sie könnten sagen wie er: „Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.”19

Niemand vermochte seinerzeit zu sagen, ob Stanley Kubrick in seinem Film nun eigentlich eine fortschrittliche oder eine reaktionäre, oder ob er überhaupt eine Botschaft hatte. Ob „2001” ein technologischer, ein mystischer oder ein kritischer Film sei? Eines schien sicher: Kubrick mochte die Gesellschaft nicht, in der er lebte. Wäre seinem Astronauten nicht die Gnade der kosmischen Wiedergeburt im Weltall zuteil geworden, sondern wäre er auf die Erde zurückgekehrt, so hätte er vermutlich eine Gesellschaft vorgefunden, wie der Film-Autor sie in seinem nächsten Film „Clockwork Orange” („Uhrwerk Orange”) im Jahr 1971 zeichnete: Gewalttätig und gewöhnlich. „A Clockwork Orange” war der Höllentrip, der dem Höhenflug von „2001” auf dem Fuße folgte.

1Heilige Schrift, Altes Testament, Erstes Buch Mose

2Stanley Kubrick, in: Kubricks Filme, hrsg von Georg Seesslen/Fernand Jung, Marburg 1999, S.183

3Eb.

4Auch schon in Fritz Langs Film „M - eine Stadt such einen Mörder” (Deutschland 1930) ist Peter Lorre als Triebtäter von allen gesellschaftlichen Gruppen isoliert. Aus dieser Isolation heraus wird Peter Lorre zum Mörder an den Kindern einer Gesellschaft, die ihn als Person ausgrenzt.

5Pudowkin, in: Kubricks Filme, a.a.O., S.166

6Kurt Scheel, in: Kubricks Filme, eb.

7Werner Kließ, in: Kubricks Filme, a.a.O., S.170

8Frederico Fellini in: Kubricks Filme, a.a.O., S.170

9Roman Polanski in: Kubricks Filme, a.a.O., S.176

10 Friedrich Nietzsche eb.

11Stanley Kubrick in: Kubricks Filme, a.a.O., S.180

12 Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-philosophicus, Schluss.

13 Stanley Kubrick in: Kubricks Filme, a.a.O., S.185

14 Arthur Clark in: Kubricks Filme, a.a.O., S.185

15 Stanley Kubrick in; Kubricks Filme, a.a.O., S.185

16 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra”, zitiert in: Kubricks Filme, S.186

17 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathrustra, zitiert in: Kubricks Filme, a.a.O., S.186

18Vgl. Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode.

19 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra