Multiplicity | 30.September 1996 | ||
Multiplicity |
Horst Tellioglu Version vom 30 September 1996 |
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1 | Natürlich frage ich mich bei vielen Filmen warum manche Sachen - vor allem die Enden - nicht anders gestaltet wurden. Meistens beziehen sich diese Änderungsvorschlaege auf den Handlungsverlauf, seltener auf andere Techniken. Was verführt eine eigentlich sich diese Kompetenz zuzuschreiben? Sich zu wünschen, daß eine "Geschichte anders ausgeht" ist zwar alltäglich, scheint jedoch gegenüber Kunstwerken unangebracht. Welche Entscheidungen von wem auch immer gefällt wurden, sie wurden es bevor wir den Film sahen. Und das ist es wohl, was so schwer anzunehmen ist. | ||
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2 | Dies erklärt für mich besser als Appetit und Geschmack, wie es sein kann, daß ich mich bei Multiplicity köstlich unterhalten und sehr viel gelacht habe, während Niki den Film als Schmierenkomödie empfand und mit einem Theaterstück verglich. Letzteres ist ja wohl das vernichtendste Urteil, daß über einen Film gefällt werden kann. So wie zu sagen, daß er schlechter als "das Buch" war, eines der dümmsten ist. | ||
3 | Mein kleiner Versuch die Handlung anzunehmen kann damit beginnen zu beschreiben, was ich gesehen habe. Und das war zuerst einmal - bevor ich zu lachen begann - die Übertragung von Wiederholungen in der Zeit auf den Raum. Doch zuvor die Wiederholung der Produktionsbedingungen: | ||
4 |
Harold Ramis hat 1993 den Film Groundhog Day gemeinsam mit Trevor Albert produziert. Er hat ihn
dirigiert und Danny Rubins Geschichte gemeinsam mit ihm adaptiert. Bei Multiplicity sind Produzenten
und Regisseur gleich geblieben. H.Ramis hat auch diesmal am Drehbuch mitgewirkt, allerdings waren auch noch vier weitere Personen beteiligt. Andie MacDowell spielt in beiden Filmen "die Frau" und das Objekt der Begierde - traurigerweise halten das viele für hinreichend um eine Person zu charakterisieren. Oder besser gesagt, ausreichend um eine Figur zu beschreiben. |
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5 | Beide Filme beschäftigen sich mit einem Satz von Gilles Deleuze: "Die erste Wiederholung ist Wiederholung des Selben, [...] die zweite ist diejenige, die die Differenz umfasst [...]". [ Deleuze, 1992a, p.42] | ||
6 | So wie in Groundhog Day Ereignisse in der Zeit, wiederholen sich in Multiplicity Personen. Allerdings sind diese Wiederholungen zuerst einmal als Kopien gefaßt. Klar wird das in Groundhog Day daran, daß nicht Handlungen in der Zeit, sondern die Zeit selbst wiederholt wird. Das geht nur, indem anfänglich identische Kopien erzeugt werden. In Multiplicity wird dies explizit formuliert, wenn Doug Kinney (Michael Keaton) zum gar nicht verrückten Wissenschaftler meint: "You Xerox people!". | ||
7 | Sowohl Kopien von Zeitstücken - wie ich mir denke - als auch Kopien von Raumstücken - wie ich der Vorlesungmitschrift "Metaphysik der analytischen Philosophie II" entnehme - sind von einem instrinsischen Standpunkt nicht unterscheidbar. Als Beispiele für intrinsisch ununterscheidbare Raumstücke hat Prof. Heinrich große und kleine Barockkirchen, sowie inkongruente Gegenstücke erwähnt. | ||
8 | Um die einzelnen Kopien der Zeitabschnitte unterscheiden zu können, um also für sie einen Index erstellen zu können, muß auf eine externe Konstante referiert werden. In Groundhog Day ist dies das Gedächtnis von Phil (Bill Murray). Er ist der einzige, der sich an die Ereignisse in den kopierten Zeitabschnitten erinnert. Er ist auch der einzige, der die einzelnen Kopien verändern kann. Doch was für einen Sinn hat es, einen Unterschied zu machen, der auf einzelne Kopien beschränkt bleibt? Das ist wohl die Tragik, die es erst erlaubt von Sinn zu sprechen. | ||
9 | Die kopierten Raumstücke in Multiplicity hingegen besitzen selbst ein Gedächtnis. Ihre Erinnerungen sind ununterscheidbar bis zum Zeitpunkt der räumlichen Vervielfältigung. Während also Kopien der Zeit den Raum umfassen, gilt dies umgekehrt nicht. Die seriellen Konditionen von Raum und Zeit unterscheiden sich. Die Gedächtnisse hören in dem Moment auf Kopien zu sein, in dem sich ihre Personen als solche erkennen. Vielleicht stimmt es, daß die Identität, also die Möglichkeit die Kopien als solche zu beschreiben, nur extrinsisch erzeugt werden kann. | ||
10 | Das läuft natürlich der Absicht von Doug Kinney (Michael Keaton) zuwider. Er will ja gerade eine *identische Kopie* von sich selbst. Und da er diesen offensichtlichen Bruch nicht wahrnehmen will betont er ständig seiner Kopie gegenüber: "You are me!". Dieser Ausruf wird jedoch mit der vierten Kopie - als Kopie einer Kopie - gänzlich unmöglich. Four unterscheidet sich bereits äußerlich so sehr vom Original, daß er Doug zwingt, sich selbst als solches zu erkennen. | ||
11 |
Seine Frau Laura Kinney (Andie MacDowell) hingegen scheint mit jeder Kopie von Doug mehr von
ihrem Gedächtnis zu verlieren. Wie sonst könnte sie nichts davon bemerken, was um sie herum
vorgeht? Wo doch gerade sie in einer ausgezeichneten Position wäre um die Kopien zu
differenzieren. "While she continues to be present, her mind is absent", sagt Stanley Cavell über Tracy Lords Mutter in The Philadelphia Story. [Cavell, 1981, p.138] |
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Das Verblassen in den Kopien scheint sich auf Laura zu übertragen. Zu untersuchen wäre, worin sich Andie MacDowells Charaktere Rita und Laura Kinney gleichen und unterscheiden. Dieselbe Andie MacDowell scheint ja als Laura Kinney eine schlechte Kopie von Rita darzustellen. | |||
12 |
Traurig ist, daß die Feinfühligkeit und Nachdenklichkeit von Groundhog Day in Multiplicity verloren
gegangen sind. Aufschlußreiche Möglichkeiten lauern an jeder Wendung, werden jedoch nicht
genutzt. Doch wie geschrieben: Das Produkt ist hergestellt und wird als solches nur mehr technisch reproduziert. |
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