Shine 10.2.1997
   
 

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Shine

Horst Tellioglu

Version vom 10. Februar 1997

Australia, 1996
U.S. Release Date: 11/22/96
Running Length: 105 min
MPAA Classification: PG-13 (Mature themes, brief nudity)
Theatrical Aspect Ratio: 1.85:1
Cast:
Alex Rafalowicz: David Helfgott (boy)
Noah Taylor: David Helfgott (young man)
Geoffrey Rush: David Helfgott (adult)
Armin Mueller-Stahl: Peter Helfgott
Lynn Redgrave: Gillian
Sir John Gielgud: Cecil Parkes
Googie Withers: Katharine Prichard
Nicholas Bell: Ben Rosen
Sonia Todd: Sylvia
Director: Scott Hicks
Producer: Jane Scott
Screenplay: Jan Sardi based on a story by Scott Hicks
Cinematography: Geoffrey Simpson
Music: David Hirschfelder; piano played by David Helfgott
U.S. Distributor: Fine Line Features

  1 Nicht nur in den presseberichten zu Shine erfahren wir sehr viel über die geschichte, die der film angeblich erzählt, sondern auch im film selber ist ständig davon die rede. Wir können sie aber im film selbst weder sehen noch nachvollziehen.
  2 Wir sehen einen "polnischen Juden" - der deutsch spricht und Peter Helfgott heißt - der probleme damit hat, dass sein vater musik ablehnte und dass er seine familie "im holocaust verlor". Wir erfahren, dass ihm die familie heilig ist. Dass er sie um jeden preis erhalten will. Wir wissen das, weil Peter Helfgott es ständig sagt und es unverständlich und nicht nachvollziehbar klingt. Wir schließen daraus, dass er verrückt sein muss.
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  3 Dies soll im film zuerst einmal als erklärung dafür genügen, dass er seinen sohn David nicht in "Amerika" studieren lässt. Doch diese erklärung ist dem film selbst zu wenig tragfähig und wir erfahren zusätzlich, dass Peter teure kleidung und religion ablehnt. Das soll uns sagen: er ist ein kommunist. Und wie könnte ein kommunist seinen sohn in den USA studieren lassen? Dann schon lieber in moskau. Oder wenn nicht in moskau, dann bei einer kommunistin, die lange in der Sowjetunion war und von der David deshalb viel lernen kann.
  4 Peter entlässt David ganz einfach und ohne probleme aus der familie, wenn er sich der größeren kommunistischen familie anschließt, in der Katharine Prichard als mutter auftritt. Sogar dem schwulen musiklehrer Ben Rosen übergibt er David nach nur kurzem zögern, da dieser ihm die großen gefühle erschließen kann. Wir erfahren warum: weil Peter möchte, dass David ein großer musiker wird. Wie sollen wir das verstehen? Er darf sich mit schwulen und kommunisten herumtreiben, aber nicht zu Juden in die USA oder London fahren?
  5 David liebt Peter und Peter liebt David. Zumindest sagt Peter das ständig. Peter zerstört Davids leben, aber David liebt ihn trotzdem. Er lehnt sich nicht gegen ihn auf, er kehrt sich nicht von ihm ab. Warum? Eine ödipale erklärung wäre, dass Davids kommunistische ersatzmutter Katharine nicht Peters frau ist. Warum sollte er seinen vater töten, wenn er seine leibliche mutter nicht liebt? Sie kann ihn nicht borgen, da sie ihn nie geboren hat. David ist eine kopfgeburt seines vaters. Ein kind seines leidens.
  6 Die geschichte hat einen bekannten dreiteiligen aufbau[1]: Zuerst der verlust der symbiotischen beziehung zwischen sohn David und vater Peter. Dann die herausforderung Davids durch Rachmaninoffs komposition. Davids reise nach London, durch die er sich in größte gefahr begibt, und seine bestrafung mit wahnsinn. Am ende im dritten teil dann die erlösung, die bestätigung Davids - nicht nur im film, sondern auch auf den konzertbühnen der welt - und die neuordnung seines lebens. [1]Georg Seesslen, Chaos der Bilder - Ordnung des Textes?, in Film Kritik Schreiben, Europa Verlag GmbH, Wien, 1993
  7 Doch wie steht es wirklich mit der sexualität Davids? Wir sehen eine sadomasochistische beziehung zwischen David und Peter. Wir erfahren sie als ekelhaft: Du darfst nicht in die badewanne scheissen! Wir sehen die zärtliche beziehung zu seiner mutter Katharine und wir sehen wie David in London vergisst, dass er ein geschlecht hat. Wir sehen ihn ohne hosen vor einer älteren frau stehen und sich wundern, was ihre abweisende haltung bewirkt. Katharine stirbt und Davids sexualität regrediert. Bald wird sie nur mehr im kleinkindlichen greifen nach dem busen wahrnehmbar sein.
  8 Lachen im publikum.
  9 Peter hat gesiegt. Er hat David in der kindheit gefangen gehalten und nach seiner flucht für immer dahin zurückgetrieben. Doch warum wird David verrückt?
  10 David zerbricht weil er ein zu kleines gefäß für die großen gefühle ist. Für die schrecklichen, grausamen, mörderischen gefühle der judenvernichtung, die Peter "das leben" nennt, und für die schrecklichen, schönen der erhabenen kunst, als die der film uns die musik Rachmaninoffs präsentiert.
  11 Der film versteht musik als transport von emotionen und David als transportmedium. David ist das medium der gefühle seines vaters als auch des komponisten und er ist zu schwach dafür. Es gibt keine technisches schwierigkeiten für ihn. Auch als kind könnte er alles spielen, wenn er nur die gefühle übertragen könnte, ohne dabei zu sehr in schwingungen zu geraten und daran zu zerbrechen. Der lehrer Ben Rosen teilt dieses falsche verständnis von musik und hält ihn gegen den widerstand seines vaters an, sich mit Mozarts kindereien zu begnügen.
  12 Am Royal College of Music begreift ihn sein tutor Cecil Parkes ebenfalls als medium zur gefühlsübertragung und warnt ihn vor der gefährlichkeit des dritten Klavierkonzerts. David versteht langsam und versucht verrückt und wütend genug zu werden um das stück vermitteln zu können, anstatt es zu verstehen und aufzuführen. Und als er jeden übertragungswiderstand aufgibt kommt es zu einem kurzschluss. Wir sehen wie das abschlusskonzert elektronisch nach Australien zu seinem vater übertragen wird und wie David elektroschocks bekommt.
  13 Der film bastelt auch anschließend noch eifrig am mythos, dass zuerst gefühlt werden muss, damit dann eine komposition entsprechend gespielt werden kann. Während es doch darum geht, ein stück so zu spielen, dass es erkannt werden kann. David darf nach anordnung der ärzte nicht klavierspielen, da es zu gefährlich für ihn ist. Das piano wird abgesperrt, da sich die nachbarn beschweren.
  14 Wir sehen David als technisch perfekten virtuosen, dem die wahrnehmung durcheinander gekommen ist. Er wird zu einer zirkusattraktion mit interesse am busengrapschen. Erst als er eine weitere ersatzmutter findet, die ihn grapschen lässt, beruhigt sich David und wird wieder zum wunderkind das sogar konzerte spielen kann. © 1997 Horst Tellioglu