Striptease
Einige gedanken zum film
von Horst Tellioglu
Juni 1998
Meine ersten Überlegungen galten natürlich der Haltung und Situierung der Frauen in der Pornoindustrie. Das betrifft in Bezug auf den Film Striptease einerseits die Position von Demi Moore in der Filmindustrie, andererseits, und vor allem, die von ihr dargestellte Erin Grant im Film.
Erin Grant selber äußert sich zu dieser Problematik. Sie glaubt zwar nicht an eine Traumatisierung ihrer Tochter, wenn diese sie beim Striptease sieht, befürchtet aber, daß sie die Achtung ihrer Tochter verlieren wird, wenn diese später einmal versteht, worin ihre Arbeit bestand. Nicht in Einklang damit meint Erin Grant gegenüber ihren Kolleginnen, dass das was sie tut vollkommen in Ordnung sei, und nur der konservative - und wie sich später herausstellt heuchlerische - Richter das nicht versteht. Sie formuliert sogar gegenüber ihrem Arbeitgeber eine klassische feministische Kritik, als sie die Darstellung der Frauen auf Servietten als "degrading women" bezeichnet.
Außerdem legitimiert sie Striptease nur unter bestimmten Bedingungen. Das wird artikuliert, als sie einem Kunden, der ihr offenbart, dass er nächste Woche heiraten wird, erklärt, dass er dann wohl besser nach Hause zu seiner Verlobten gehen soll. Die BetrachterInnen eines Striptease stehen also in einer Beziehung mit der Tänzerin, die sehr wohl Auswirkungen auf Liebes- oder Vertrauensverhältnisse hat. Die Tänzerin ist keine blosse Ware.
(Ich beziehe mich hier konkret auf den Film. Analoge Überlegungen müssten für Stripteasetänzer angestellt werden.)
Das ist auch ein Aspekt von Erin Grants Widersprüchlichkeit: In der ständigen Betonung ein Dancer, jedoch keine Stripper zu sein, verlaesst sie die immunisierende Position der Prostitution unter den sakrosankten Regeln des prävalenten kapitalistischen Marktes. Damit wird sie aber erst *als Person* fuer Congressman David Bilbeck (hervorragend gespielt von Burt Reynolds) käuflich.
Roland Barthes schreibt in "Mythologies": "Es gibt beim Strip-tease eine ganze Serie von Einkleidungen, die sich in dem Maße um den Körper der Frau legen, in dem sie vorgibt, ihn zu entkleiden." Die Nacktheit soll am Ende des Strip-tease als natürliches Gewand der Frau erkannt werden. "Was heisst, einen durchaus schamhaften Zustand des Fleisches wiederzufinden."
Es ist klar, dass sich, seitdem dieser Aufsatz 1957 geschrieben wurde, einiges veraeändert hat. Dies veranlaßt mich zu überlegen, ob die Filme Striptease und Showgirls einen neuen Weg in der Haltung gegenüber dem neueren moralischen Fundamentalismus erlauben.
Nachdem aus der sexuellen Befreiung und der Befreiung der Sexualität nichts wurde, und nach der Transformation der Sexualität durch AIDS, kam es zu einem Revival von moralischen Fundamentalpositionen. Im Film sind diese repräsentiert von einem christlichen Club zur ver*herr*lichung der Familie, der den völlig inkompetenten und heuchlerischen konservativen Politiker David Bilbeck einlädt. Er ist wohl zu diesem Zeitpunkt nicht zufällig vollständig in Vaseline gehüllt, das einerseits völlig "rein" ist und pharmazeutischen Zwecken dient, andererseits ein nützliches Hilfsmittel für manche Sexualpraktiken darstellt. Bilbeck verteilt diese Vaseline als hypostasierte Schleimigkeit per Handschlag unter den Christen.
Angesichts von AIDS scheint nun - trotz aller bereits formulierten Vorbehalte - das Striptease eine basale Setzung fuer die Reexemption der oeffentlichen Sexualität zu bieten.
Denn während es zwar auch für diesen Film stimmt, dass "der Tanz, der das Strip-tease während seiner ganzen Dauer begleitet, keineswegs ein erotischer Faktor" ist, wie R.Barthes schreibt, meine ich, dass es nicht mehr stimmt, dass "die Frau selbst irreal, glatt und geschlossen [bleibt,] wie ein schöner glänzender Gegenstand, der gerade durch seine Extravaganz dem menschlichen Zugriff entzogen ist". Diese Opazität wird abgelöst von einer kompakten Muskulösität. Der Körper von Frau Moore wird offen, taktil und resistent. Nicht mehr "ihre Technik umgibt sie wie ein Gewand", sondern ihre Masse befreit sie von diesem Mangel. So wie sie es für A. Schwarzenegger in seiner Nacktheit zu Beginn von Terminator tut.
Ähnlich wie Schwarzenegger verkauft aber auch Demi Moore ihren Körper als Surrogat für fehlende darstellerische Fähigkeiten. Dabei exemplifizieren die näher zu untersuchenden unterschiedlichen Verkaufsmodi den Sexismus der Industrie.
Ich halte im Sinn des gesagten die etwas ruckartigen Tanzbewegungen fuer kontraproduktiv. Denn selbst das voellige Innehalten waere nicht als Bedrohung erkennbar gewesen. Dem gegenüber steht aber einerseits die Bedrohung einer Kollegin durch die *Bewegungen* einer Schlange, die sie beinahe zum völligen Stillstand im Tod bringen, andererseits die infantilen Präsentationen einer weiteren Kollegin, die als simulierte Pädo»philie« zu verurteilen sind.
Damit sind wir an der schwierigen Frage der möglichen Auswirkungen des Pornographiekonsums auf die Verhaltensweisen der Konsumenten, die an der Produktion Beteiligten und die Gesellschaft angelangt. Es ist äußerst schwierig diese Auswirkungen empirisch zu untersuchen oder eine Kausalkette zwischen Pornographie und sexueller Gewalt herzustellen.
Ein Ergebniss der Studie "Erotika und Pornographie" von H.Ertel scheint jedoch auch für den Film zu gelten: "Eine weitere Intensivierung des Konsums war jedoch wieder mit einem Anstieg der subjektiv empfundenen negativen Konsequenzen verbunden. Bei den Frauen betraf dies Unterlegenheitsgefühle durch den Vergleich mit den Darstellerinnen und bei den Männern Frustrationen angesichts der Unrealisierbarkeit der wahrgenommenen Szenarios."
Im Film werden diese frustrierenden Erfahrungen stellvertretend fuer die Zuseher von David Bilbeck gemacht. Als mögliche Rückzugsposition bleibt der von Ving Rhames gespielte Shad. Er benutzt als Pseudonym den Namen eines konservativen Politikers und ist zu lange im Geschäft um erregt oder frustriert zu werden. Sein Weg zum Reichtum soll über andere ekelerregende jedoch "anstaendige" Produkte führen.
Im übrigen gibt es keinen Grund sich diesen Film anzusehen: Er ist einfach schlecht.